Natch im Gespräch mit Malte Biss | Wie können wir Plastikmüll beenden?

Gründer und Geschäftsführer der flustix - Rethink Plastics GmbH

Klima- und Umweltschutz müssen konsequenter werden! Nur gemeinsam können wir etwas verändern, Verantwortung übernehmen und aufklären. Das Berliner Unternehmen flustix testet Produkte und Verpackungen auf ihren Plastikanteil und vergibt verschiedene Plastikfrei-Siegel. Das freut uns sehr: Auch Natch wurde kürzlich mit einem flustix-Siegel zertifiziert. Im Interview mit Malte Biss beleuchten wir die Hintergründe des Plastikproblems – vor der eigenen Haustür und weltweit. Freu dich auf spannende Insights und Hintergrundfakten rund um das Thema Plastikmüll. Denn es betrifft alle!

Lese hier eine Zusammenfassung des Natch Live Talks auf Instagram.

Wie war Ihr Weg vom langjährigen Journalisten zum Gründer von flustix?

Eigentlich ist alles aus dem Journalismus heraus entstanden.

Meinen ersten Kontakt mit dem Thema Plastik hatte ich 2011, als ich als Journalist eine Delegation aus dem Fürstentum Monaco zum Weltklimagipfel in Durban begleitete. Am Abend, am Rande des Gipfels, hatten wir lange Gespräche, auch mit Prinz Albert. Er sagte mir: Wenn wir die 1,5 Grad des Pariser Klimaabkommens nicht einhalten können, kriegen wir in Monaco nasse Füße! Außerdem liegt Monaco in einem Strudel, der das Plastik in den Hafen drückt. Der Strand muss also ständig davon gereinigt werden.

Wir sprachen auch über Plastikmüllteppiche

Allein in der Ostsee sind 80 % des Mülls aus Plastik. Im Mittelmeerraum ist die Zahl deutlich höher. Wir haben das Problem also direkt vor unserer Haustür.

Prinz Albert sagte, wir müssten ein System entwickeln, das die Wirtschaft ankurbelt. Arbeiten Sie also mit der Wirtschaft, nicht dagegen.

Durch meine Arbeit als Chefreporter bei Bild am Sonntag hatte ich Zugriff auf große Archive und habe das Thema dann immer wieder neu recherchiert.

2015 ist die Idee gewachsen, 2016 habe ich sie verwirklicht: Ich habe ein Siegel entwickelt, mit dem ich der Wirtschaft einen Bonus gebe, wenn sie etwas Nachhaltiges zum Thema Plastikkonsum, -verwendung und -verarbeitung tut.

Denn wichtig zu wissen: Kunststoff ist eigentlich ein geniales Material. Plastik hat den Konsum demokratisiert, zB im Bereich wärmende, gesundheitsfördernde oder auch in Notfällen wie Feuer (gemeint ist hier: feuerfeste Schutzkleidung), um nur einige Beispiele zu nennen.

Wir gehen einfach viel zu sorglos mit Kunststoffen um. Und deshalb haben wir 2017 das flustix-Siegel gegründet.

Besonders in Deutschland gibt es viele Robben. Ist flustix exklusiv und einzigartig in dem, was es tut und anbietet?

Ja, wir sind weltweit Monopolisten.

Der Grund dafür ist, dass sich bisher niemand an uns getraut hat. Damals, während der Gründung, gab es auch viel Austausch mit dem Umweltminister und auch mit dem Umweltbundesamt.

Es folgte ein weiterer Austausch mit Experten – da es damals noch keine Definition oder Norm für plastikfrei gab.

Anschließend wurde mit Instituten, Professoren, Wissenschaftlern, Verbänden, NGOs, Interessenverbänden – darunter der Kunststoffverband – eine Definition erarbeitet, was plastikfrei bedeutet. Das war ein Prozess, der mehr als zwei Jahre gedauert hat. Damit hatte es auch rechtliche Relevanz. Und dann wurde der TÜV als zukünftiger Partner kontaktiert.

Was macht flustix genau?

Wir zertifizieren 360° Kunststoff-Nachhaltigkeit. Das bedeutet, dass wir vier Siegel zum Thema plastikfrei vergeben:

  1. das gesamte Produkt und die Verpackung
  2. plastikfreies Produkt
  3. plastikfreie Verpackung
  4. Produktinhalt ohne Mikroplastik

Hier sind einige Fakten:

  • In Deutschland werden jährlich etwa 15,2 Millionen Tonnen Plastik verbraucht
  • Davon landen drei Prozent in der Umwelt: Das sind etwa 456.000 Tonnen pro Jahr.
    • Gut ein Viertel davon sind größere Kunststoffteile
    • Rund drei Viertel sind Mikroplastik
  • Trotz aller Abwasserreinigung gelangen in Deutschland jedes Jahr rund 112.000 Tonnen Mikroplastik in unsere Gewässer.
  • Weltweit wird der Eintrag von Mikroplastik in Flüsse und Ozeane auf etwa 9,5 Millionen Tonnen pro Jahr geschätzt
Dies betrifft vor allem flüssige Materialien, wie Kosmetika, Wasch- oder Reinigungsmittel. Und doch gibt es so viele plastikfreie Alternativen, weil die Forschung inzwischen sehr aktiv geworden ist.

Dann gibt es noch zwei weitere Siegel, die das Recycling von Kunststoffen fördern, damit diese im Kreislauf gehalten werden können:

  1. Flustix RECYCLED - DIN geprüft: Deklariert die Menge an recyceltem Kunststoff auf einem Produkt oder einer Verpackung
  2. Flustix RECYCLABLE DIN plus: Zertifiziert die Recyclingfähigkeit von Verpackungen

Denn: Jedes neue Produkt muss recyclingfähig sein. Ist dies nicht der Fall, werden höhere Gebühren an das Duale System – also die Entsorgungsunternehmen – fällig.

Unser Ansatz ist ein Monomaterial - das mehrmals recycelt / umgeschmolzen werden kann. Beispiel Tetrapacks: Sie enthalten Aluminium und Kunststoff (bis zu 7 Lagen!), die beim Recycling nicht getrennt werden können. Daher landen sie 1:1 in der Verbrennung – das weiß kaum jemand.

Müssten dafür nicht komplette Produktionsanlagen umgebaut werden, was die Industrie Millionen kosten würde? Ist das nicht eine große Hürde?

Wenn die Industrie umdenkt und die Nachfrage nach Produktion da ist, wird es funktionieren.

Auf das Volumen kommt es an, dann ist es finanzierbar.

Wenn zum Beispiel ein großer Chiphersteller Monomaterial verlangt, wird der Lieferant das machen, einfach weil er den Auftrag nicht verlieren will.

Oder nehmen Sie das Beispiel Kaffee-To-Go-Becher: Sie sehen eigentlich aus wie reine Pappe, aber im Inneren der Pappe befindet sich noch eine hauchdünne Kunststoffschicht. Diese konnten nicht mehr getrennt werden, also wurden sie einfach unrecycelt verbrannt.

Nach Inkrafttreten der SUPD (Single Use Plastic Directive) wurde eine Änderung vorgenommen. Bei der Herstellung dieser Becher wurde nun Papier so verarbeitet, dass es Flüssigkeiten bis zu 90 Grad eine halbe Stunde warm hält. Das hat man früher wegen der Mehrkosten pro Tasse nicht gemacht - es war eine wirtschaftliche Entscheidung.

Aber wenn jemand 1.000.000 Tassen bestellt, ist das eine große Sache. Langsam findet ein Umdenken statt...

Wie wichtig ist die Politik bei diesem ganzen Thema? Oder kann die Wirtschaft selbst entscheiden?

Das Geschäft könnte es selbst machen, aber: Als ich 2017 rausging und die Unternehmen kontaktierte, war die Tür so ziemlich immer vor meiner Nase zu. Viele von ihnen entwickelten jedoch später selbst ein Label und brachten es auf ihren Produkten an.

Dafür ist maßgeblich die Politik verantwortlich. Und in der Geschichte der EU gab es keine Verordnung, die so schnell einstimmig verabschiedet wurde wie die SUPD. Dies ist die Verordnung über den Umgang mit Einwegkunststoffen und -artikeln.

Beispiel Wattestäbchen – sie haben immer einen Kunststoffgriff, aber Sie könnten sie genauso gut aus Pappe machen. Und die Watte ist Viskose, die seit dieser EU-Verordnung offiziell als plastikfrei gilt.

Doch diese wurden mittlerweile komplett verboten.

Alles wegen dieser Verordnung. Nie zuvor wurde also so schnell über eine EU-Verordnung abgestimmt und in Kraft gesetzt.

Woher kommt diese ungewöhnliche Geschwindigkeit?

Es kam von dem öffentlichen Druck, der sich aufbaute. Über die Medien wurde man auf das Thema aufmerksam und immer mehr sichtbar. Das Thema Mikroplastik wurde immer beliebter. Obendrein hielten Wetterextreme auch hier Einzug in unser Land. Es ist ein Gesamtpaket. In der Folge ging ein Ruck durch die Gesellschaft, in allen Ländern.

Sie, die EU, waren sich schnell einig – und wollten natürlich eigene Maßstäbe setzen. Auch Politik muss populär sein... Bei diesem Thema konnte schnell ein weithin sichtbares Zeichen gesetzt werden.

Mit flustix gehören wir nun zu dem Kreis, der neue Vorschriften kommentiert, was ein großer Erfolg ist.

Der nächste Punkt ist das Green Claiming. So hat die Deutsche Umwelthilfe gerade zahlreiche Großkonzerne verklagt, die einfach „klimaneutral“ auf ihre Produkte schreiben. Aber „klimaneutral“ gibt es nicht.

Generell müssen wir vor der Haustür recyceln... wir müssen beim Italiener kein Wasser aus Italien trinken, das tausende von Kilometern transportiert wurde, um wieder recycelt zu werden. Wir müssen regionaler denken, wenn nicht immer alles 100% free-from ist, aber zumindest regional sollte es sein.

Wir müssen vor unserer Haustür recyceln und den Müll nicht um die Welt schicken.

Beispiel Gelbe Säcke: Diese werden außerhalb der EU exportiert, und sobald sie die EU-Grenzen verlassen haben, gelten sie in der Statistik offiziell als recycelt. Das ist eine Absurdität.

Wir müssen die Anlagen hier aufrüsten, damit wir unseren eigenen Abfall hier recyceln können. Und wir können daraus selbst Produkte herstellen.


Zu Ihrer Person: Was genau treibt Sie an, was genau ist Ihr persönliches Warum, das Sie täglich motiviert, dieses Projekt zu machen?

Es gibt so viele Antreiber …

Ich möchte mit der Idee Erfolg haben, aber nicht persönlich gedacht. Sondern, wenn wir irgendwann auf allen Produkten mit dem Siegel im Regal vertreten sind und sagen können, wir haben so viele Tonnen Plastik eingespart – dann wäre das für mich das Größte! Deshalb habe ich mit 43 Jahren einen weiteren Schritt aus meiner Komfortzone, aus einem sicheren Job, gemacht.

Ich habe auch den Ehrgeiz, dieses System richtig gut und nachhaltig aufzubauen. Außerdem brauchen wir unsere Felder eigentlich, um Futter oder Weizen anzubauen, nicht um Plastik- oder Reissäcke daraus zu machen. Lasst uns das Land nutzen, um Nahrung für die Menschen zu schaffen, denn das fette Ende kommt noch.... Daran möchte ich arbeiten!

Und der Ehrgeiz, in dieser Welt mitzubestimmen – ich wollte etwas bewegen und musste mich komplett einarbeiten. Viele Leute sahen mich seltsam an und fragten mich, was mich berechtigte, überhaupt mitreden zu dürfen. Und sie waren gleich am Anfang! Aber dann bekam ich den Ehrgeiz zu lernen und zu verstehen. Und was ich anfange, mache ich immer richtig, bis zum Ende.

Ich möchte das Erlernte nicht missen, auch wenn es ein anstrengender Weg war.

Und all die negativen und positiven Dinge, die ich über Kunststoffe gelernt habe.

Wir werden unseren Plastikverbrauch in den nächsten zehn Jahren verdreifachen, das habe ich auch gelernt. Eigentlich absurd!

Vielleicht können Sie dieses Thema noch einmal bestätigen oder korrigieren: Wenn Plastik verbrannt wird, dann bleibt eine Schlacke zurück, die nicht weiter verwendet werden kann. In dieser Form also auch sehr giftig?

Genau, das gehört eigentlich in den Sondermüll. Und was passiert mit der Schlacke in unserem Land? Ein Teil davon wird von den Bauern auf die Felder gebracht. Das passiert auch beim Klärschlamm, woher das Mikroplastik auf den Feldern kommt.

Und hier sind wir wieder bei unserem Essen, das sich direkt auswirkt:

Eine neue Studie hat gezeigt – Karotten trinken Mikroplastik, kein Scherz. Ein Beispiel dafür, was in unserem Essen landet. Und Mikro- oder Nanoplastik beispielsweise kann auch aufgenommen werden und sich in den Darmwänden festsetzen oder eine Plazenta passieren – das haben Studien bereits gezeigt.

Auch daraus können Entzündungen entstehen, und wenn man sie nicht behandelt, können schwere Krankheiten die Folge sein.

Mögliche Erkenntnisse, die wir irgendwann deutlich sehen werden... Bedeutet: Plastik ist ein super Produkt, wir müssen nur aufpassen, wie und wo wir es wie oft verwenden.

Wir haben jetzt über den Dreiklang gesprochen – Wirtschaft, Politik und Verbraucher. Aber welche Tipps haben Sie, was können Verbraucher einfach tun, um Stück für Stück umzustellen?

Einen Schritt zurück: Bevor der Konsument an der Reihe ist, muss er noch viel mehr abgeholt, sprich informiert werden.

Wir, die wir um diese Dinge wissen, und auch die Entsorger und die Politik.

Beispiel Wurstverpackung: Wenn man Hülle und Folie nicht zu 100 % voneinander trennt, kann man am Ende nur ein Kunststoff-Mischprodukt erhalten. Die Recyclingbetriebe können dies nicht selbst trennen. Wenn Sie es vorher selbst trennen, können neue Folien und neue Schalen hergestellt werden. Das wissen viele nicht. Es muss viel mehr Aufklärungskampagnen geben!

Als in den 80er Jahren das duale System – der Gelbe Sack – eingeführt wurde, wurden großflächig Imagekampagnen durchgeführt, damit alle davon wussten.

Zu diesem Thema habe ich gerade im Newsletter geschrieben: Momentan werden noch eine Million Euro an Zuschüssen für die Herstellung frischer, neuer Kunststoffe vergeben. Das bedeutet, dass gekauftes Rohöl bei der Verwendung in Deutschland zur Herstellung von Kunststoff nicht besteuert wird. Das solle sofort gestoppt, das Geld eingenommen und Aufklärungskampagnen durchgeführt werden. Ansonsten sollte jeder genau hinsehen, wie er sich im Alltag verhält. Wenn Sie zum Beispiel durch die Straßen gehen und Plastik auf dem Boden sehen, heben Sie es auf und werfen Sie es in den nächsten Müll.

Ich habe Dackel und freue mich immer, wenn ich Hundebesitzer sehe, die den Haufen dann in eine Tüte stecken und dann unter den nächsten Baum legen. Absurd, oder?

Und beim Konsum kann man immer aufpassen, was man kauft.

Denn es gibt nicht nur flustix, sondern auch andere Dienstsiegel.

Also nicht alles glauben. Genau das hat die Politik bereits im Visier! Sie haben gezeigt, dass fast 50 % der Umweltaussagen auf Produkten einfach Lügen oder irreführend sind.

Die EU greift nun ein, sie will eine Green-Claiming-Verordnung nach dem Vorbild der Health-Claiming-Verordnung von 2006 auf den Weg bringen. Das heißt, wenn jemand eine Behauptung auf seinem Produkt aufstellt, muss er dies auch nachweisen. Klimaneutral kann nicht bedeuten, dass ich mein Produkt klimaneutral verkaufe und einen Baum in Peru pflanze. Es gibt kein Vergütungssystem! Wir haben einen für CO2 zwischen den Ländern.

Aber nicht jeder Einzelne kann hierher kommen und sagen: Ich bin CO2-neutral, weil ich eine Patenschaft für einen Baum in Peru übernommen habe. Das ist wie ein Freikauf, und es funktioniert nicht, ein klassischer Fall von Greenwashing.

In wie vielen Ländern bist du im Moment?

Wir haben viel Nachfrage aus Asien - aus Ländern, die in die EU und nach Großbritannien exportieren - es gibt viel Nachfrage aus China, zum Beispiel Indonesien, Indien...

Oder aus Nordamerika – zum Beispiel gründete ein ehemaliger McDonald’s-Manager ein Start-up für nachhaltige Verpackungen. Er hatte lange nach einem Seehund gesucht und war dann auf Flustix gestoßen. Wir haben auch Unternehmen in Kanada. Und auch aus ganz Europa, viele aus UK und auch aus der Schweiz.

Das Portfolio ist mittlerweile riesig, von den Big Playern bis hin zu megaaktiven, jungen Start-ups.

Was sind die Pläne für flustix in den nächsten Jahren?

Kurzfristig auf der Welle reiten, die wir gerade erleben!

Nachdem ich so viele Türklinken geputzt und mir immer wieder die Nase blutig geschlagen habe, sind es nun die Unternehmen und auch die Global Player, die auf uns zukommen und fragen, und sogar große Beratungsunternehmen kontaktieren uns.

Also wollen wir noch mehr bewegen.

Über den Newsletter und auch Kampagnen wollen wir noch mehr Menschen erreichen, wir haben auch Social Media ausgebaut, alles um mehr Verbraucher zu erreichen und dort Service und Informationen anzubieten. Alles rund um Nachhaltigkeit, mit einer Lupe auf Kunststoff-Nachhaltigkeit.

Es gibt so viel zu tun, so viele Märkte, die noch angegangen werden können.

HINTERGRUNDINFORMATION

Über flustix: https://flustix.com

Bioplastik: https://flustix.com/blog/mogelpackung-bio-plastik/

Mikroplastik auf Feldern : https://flustix.com/blog/unser-taeglich-plastik-gib-uns-heute/

Green Claiming : https://flustix.com/blog/anti-greenwashing-gesetz-kommt-bald/